KOMMENTAR: Es ist vorbei. Schlusspfiff. Abpfiff. Die Fußball-Europameisterschaft war für die meisten Fans trotz der fast vierwöchigen Dauer sicherlich zu kurz, für Nicht-Fußball-Anhänger wie mich nicht, im Gegenteil. Normalerweise ist das Auftaktspiel des Gastgebers kein Termin, der sich in meinem Terminkalender wiederfindet, doch dieses Jahr kam man einfach nicht drum herum. Denn nicht nur Zeitungen und Nachrichtensendungen informierten bereits Wochen vor dem Beginn über das anstehende Fußballturnier. Nein, auch im Supermarkt, bei der Werbung zwischen Spielfilmen und auf Internetseiten eingeblendete Countdowns machten immer wieder darauf aufmerksam. Der Alltag ohne Fußball? Schier unmöglich! Bei Lebensmittelherstellern tobte mehrere Wochen ein erbitterter Kampf, um den besten Snack für das 90-minütige Spiel, wobei sich mir bei vielen Süßigkeiten, Getränken und anderen Lebensmitteln immer wieder die Frage stellte, welcher Stoff die schwarze Farbe erzeugt. Auch kleinere Unternehmen warben immer wieder mit EM-Aktionen und schlossen den Laden pünktlich zum Anpfiff ab. Einkaufen während eines Deutschlandspiels? Morgen wieder. Auf Tageszeitungen prangte Tag ein Tag aus das Ergebnis eines EM-Spiels vom Vorabend auf der Titelseite. Dahinter kamen Themen wie das Votum der Engländer zum EU-Ausstieg oder das verabschiedete Gesetz des Bundestags für Sexualstraftaten. Die Folgen für uns sicherlich bedeutsamer als das Handspiel Schweinsteigers. Auch das Netz war voll von fußballspezifischen Themen, was mit der Diskussion um Jerome Boateng als guter Nachbarn begann und mit der Mottenplage von Christiano Ronaldo am Sonntag endete. Setzte man also nicht mehr #cr7 oder #dieMannschaft unter Twitter Kommentare, konnte man quasi auch nicht mehr am digitalen Leben Teil haben. Schließlich wurden auch am Tag nach einem Spiel der deutschen Nationalmannschaft schon morgens im Badezimmer im Radio sämtliche Einzelleistungen der Spieler breit diskutiert. Nicht einmal zu so früher Stunde waren wir vor der Berichterstattung sicher. Auf dem Weg zur Arbeit prangten Schulnoten für die Spieler in der Sportrubrik der Zeitung. Alle spielten Bundestrainer, alle kritisierten und kritisierten wiederum Kritiker wie Mehmet Scholl. Fußball- Deutschland spielte verrückt und wartete sehnlichst darauf, dass die Eilmeldung mit der Startaufstellung aufs Handy kam und man lang darüber debattieren konnte, ob Gomez nicht doch die bessere Wahl anstelle von Götze gewesen wäre.
Die Szenen in Marseille, wie prügelnde „Fußballfans“ über Fairplay hinwegsahen und aufeinander losgingen, zeigt, dass ein solch großes Turnier noch viel größere Probleme als die dauerhafte Werbe-Beschallung mit sich bringt. Der Wind der um Spiele gemacht wird, das angekratzte Ego der Fans nach einem verlorenen Spiel steigert sich von Jahr zu Jahr und stößt bei mir auf Unverständnis. Das Gastgeberland muss Unmengen an Polizeibeamten stellen, die UEFA kassiert nur.
Was allerdings auch für Nicht-Fußballbegeisterte wie mich spannend zu verfolgen war, war der Aufstieg der Isländer, die zuvor noch nie an einem internationalen Turnier teilnahmen. Besonders sympathisch machte die skandinavische Truppe ihre mit den Fans zusammen aufgeführten Choreographie – Stichwort „Huh“. Oder auch der Satz des Trainers Hallgrímsson: „Wenn bei uns ein Spieler eine gelbe Karte bekommt, tauscht er einfach das Trikot mit einem anderen. Uns kennt sowieso keiner“. Es war eine Europameisterschaft, die sicherlich viele Höhepunkte lieferte, wie einen Europameister, der ausschließlich ein Spiel in der regulären Spielzeit für sich gewinnen konnte. Doch werden die Leistungen der Spieler durch den viel zu großen Medienrummel immer mehr in den Hintergrund gerückt, immer öfter spielen Laien Schiedsrichter, Gegner werden rassistisch beschimpft und ein europäisches Fußballfest wird durch negative Schlagzeilen nicht mehr gebührend gewürdigt.
Vorschau: Die deutsche Tischtenniselite bereitet sich mit einem internationalen Turnier in Worms auf die Olympischen Spiele in Rio vor. Face2Face war live vor Ort.