Kommentar: Deutschlandreisende, die es in die Pfalz verschlägt, kommen eher früher als später mit einigen „typisch pfälzischen“ Phänomenen in Berührung: Der Pfälzer trinkt Wein aus dem „Dubbeglas“ und isst Saumagen – natürlich am liebsten auf kleinen Weinfesten in Orten, in die sich sonst keine Menschenseele verirrt –, sein Herz schlägt in Kaiserslautern, sein Mund „babbelt Pälzisch“. Dabei gilt er stets als gemütlich und gesellig. Was aber sind dann Menschen, die keinen Wein trinken, kein Fleisch essen, sich nicht für Fußball interessieren? Reicht eine gewisse sprachliche Färbung aus, um einen Menschen zum Pfälzer zu machen?
Mit steigender Mobilität und digitaler Vernetzung scheinen regionale Identifikationsräume wie die Pfalz ihre Relevanz zu verlieren. Deutlich wird dabei vor allem, dass Pfälzer und Nichtpfälzer eigentlich gar nicht so verschieden sind. Vielleicht kann man nicht überall in Deutschland einen Saumagen bestellen. Außerdem wird man nicht viele Menschen treffen, die – ohne in der Pfalz aufgewachsen zu sein – die regionale Mundart beherrschen. Aber sicher finden sich – trotz andauerndem Aufenthalt in der 2. Bundesliga – auch außerhalb der Pfalz Fans der „Roten Teufel“. Von Wein, Gemütlichkeit und Geselligkeit braucht man kaum zu sprechen: Wer die Pfalz gen Norden verlässt, wird feststellen, dass man auch in Alzey, in Worms und in Mainz gerne Wein trinkt und gerne beisammen sitzt. Tatsächlich bauen die Rheinhessen sogar noch mehr Wein an als die Pfälzer.
Regionale Identität scheint sehr stark mit Dingen verflochten zu sein, die sich vermarkten lassen: Wein, Weinfest, Weinstraße, Weinkönigin, Dubbeglas – das ist die Pfalz, wie sie im Tourismus vermarktet wird. Und davon profitiert die Pfalz natürlich, denn Touristen wollen häufig auch ein Stück regionaler Kultur erleben. Und am besten auch gleich mit nach Hause nehmen. Dafür eignen sich die „Dubbegläser“ nicht nur, weil sie sich sichtbar von gewöhnlichen Weingläsern unterscheiden, sondern eben auch, weil in ihnen die auf den ersten Blick kaum zu vermarktende Sprache vermarktet werden kann. Ein Weinglas aus der Pfalz ist eben nicht einfach ein Weinglas, sondern ein „Dubbeglas“.
Problematisch ist die Vermarktung solcher regionalen Phänomene deshalb, weil sie Grenzen in den Köpfen aufrechterhält, die heute kaum noch Geltung haben. Wo alles mobil und vernetzt ist, sind Vermischungsprozesse zu erwarten. Trotzdem sind von außen betrachtet nach wie vor alle Pfälzer Bauern, alle Schwaben geizig, alle Norddeutschen humorlos und alle Bayern konservativ. Regionale Stereotypen lassen sich schließlich nicht nur positiv darstellen. Wie aus dem pfälzischen Kulturgut Wein die Vorstellung wird, dass alle Pfälzer Bauern sind, mag noch recht einfach nachzuvollziehen sein. Ob der schwäbische Geiz oder die norddeutsche Humorlosigkeit in irgendeiner anderen Gestalt vermarktet werden, scheint jedoch zweifelhaft. Entscheidend ist: Ein Pfälzer kann einem Bayern erst dadurch vorwerfen, konservativ zu sein, indem er sich mit seiner Region – der Pfalz, nicht Bayern – identifiziert. Auf regionaler Ebene mögen solche Stereotypen noch unterhaltsam wirken, auf Bundesebene aber sind sie hoch problematisch. Die deutsche Geschichte liefert mehr als ein Beispiel für die negativen Folgen solcher Mythisierungen.
Historisch gesehen mag die Identifikation mit der Heimatregion ihren Sinn gehabt haben. Heute aber scheint regionale Identität vor allem für den Tourismus entscheidend. Die Pfalz mag schön sein, aber das ist kaum ein schlagendes Argument, in die Pfalz zu reisen. Denn – ganz platt gesagt – woanders ist es auch schön. Interessant ist die regionale Identität deswegen, weil sie es erlaubt, die in Reiseprospekten abgebildete Landschaft mit Bedeutung auszustatten, die sie so vielleicht gar nicht hat. „Zum Wohl. Die Pfalz.“ steht auf dem Werbelogo, das Veranstaltungsplakate und Internetauftritte gleichermaßen schmückt. Daneben: Zwei miteinander anstoßende Weingläser. Die Hände, die diese Weingläser halten, sind freilich nicht Teil der Abbildung – das ist die Aufgabe der Touristen, die ein Stück Regionalkultur erleben wollen.